„Hope ist eine gute Haltung“ und das wohl vor allem in einer „gesellschaftlich-politischen Phase, die echt depressiv macht“, meinte Jörg Schönenborn mit Blick auf die anstehende Landtagswahlen. Jörg Schönborn ist Programmdirektor für Information, Fiktion und Unterhaltung des WDR und war am Abend des 29. August Gast der Veranstaltungsreihe „Schule im Dialog – drei Tage vor den Landtagswahlen. In der Aula war − trotz hochsommerlicher Temperaturen – auch der letzte Stuhl besetzt.
Eva Yang begrüßte unsere Gäste auf dem Klavier mit einem Stück von Felix Mendelssohn-Bartholdy, bevor sie mit Nastassja Kubosch die Besucher und Herr Schönenborn willkommen hieß. Die beiden Moderatorinnen leiteten den Abend mit einer kurzen Vorstellung Herr Schönenborns ein und konnten sich über seine bereitwilligen, spontanen Antworten auf die eine oder andere persönliche Frage freuen. Wir erfuhren über seinen Werdegang als zunächst freier Journalist sowie über weitere beruflichen Etappen, wie z. B. als Nachrichtenkorrespondent der ARD. Den meisten Leuten dürfte der 59-Jährige in der Rolle des Wahlberichterstatters bei den Hochrechnungen von Landes- und Bundestagswahlen bekannt sein.
Zunächst führte Jörg Schönenborn Parallelen aus, die er zwischen seiner Geburtsstadt Solingen und Zwickau sieht: Beide Industriestädte seien von Abwanderung betroffen. Neben den sinkenden Bevölkerungszahlen würde sich auch die derzeitige Gefühlslage der beiden Städte ähneln, wobei Extremismus in der gegenwärtigen Situation eine Rolle spiele. Eine spürbare gesellschaftliche Spaltung sei Ausdruck von Entwicklungen, durch die eine demokratische Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gefährdet sei. Besonders in Sachsen und Thüringen sei es demnach wahrscheinlicher denn je, dass eine verfassungsfeindliche und rechtsextreme Partei künftig als Regierungspartei fungieren könnte. Der AfD sei es gelungen, die Repräsentationslücke unseres Parteiensystems langfristig zu schließen − erstmals seit den 2000-er Jahren. Schönenborn betonte: „Die Demokratie ist zunehmend unter Druck.“ Dies gelte für jede der 63 Demokratien einer Welt, welche niemals zuvor vor derartigen Herausforderungen gestanden habe. Wir leben demnach in einer „komplexen Welt, die einfache Antworten wünscht“, so der Wahlexperte. Ein immer größer werdender Anteil der Gesellschaft wünsche den Stillstand des Fortschritts und suche den ersehnten (und vermeintlichen) Zuspruch im Populismus. Auch den Fall des „Eisernen Vorhangs“ sowie den rasant schnellen technologischen Fortschritt erkennt Schönenborn als Ursachen dieser Entwicklung. Durch die Globalisierung gelangen Daten, Waren und Menschen „so schnell um die Welt wie nie zuvor.“ Migration − als wohl greifbarster Ausdruck jenes Prozesses − werde deshalb als „Bedrohung“ durch „Fremde(s)“ begriffen.
Bis 2014 wäre alles gut gewesen, die Finanzkrise hatte die Bundesrepublik wacker und nur mit kleinen Blessuren überstanden. Doch dann begannen mit der Flüchtlingskrise, dem Brexit und der Wahl Donald Trumps die schlechten Jahre – Sorgen und Ängste wuchsen. Viele Menschen in Ostdeutschland hatten seit 1990 wirtschaftliche und soziale Rückschläge erfahren. So sei mancherorts ein „Hang zum Opfer-Dasein“ entstanden, begleitet von der Sehnsucht nach einer „erinnerten“ DDR, die so nie existiert hatte. Regionen mit hoher Abwanderung lassen einen deutlichen Stimmenzuwachs für die AfD erkennen, wohingegen die Regionen mit dem größten Zuzug „Grün“ wählen und die AfD nur bei ca. 10 Prozent lande. Auch ein künstlich (nicht zuletzt von den Medien) am Leben gehaltener (vermeintlicher) Ost-West-Gegensatz verunsichere und verärgere so manchen.
Sicher habe auch die Regierungspraxis der „Ampel“ ihren Anteil an der gesellschaftlichen Spaltung und zunehmenden Wählerabwanderung, von denen vor allem die AfD profitiere. Die steigende Unzufriedenheit zeige, die Menschen erleben Schwächen des Staates. Sie erkennen: Das Zusammen-Regieren fällt den drei Parteien von Anfang an schwer. Da stellt sich die Frage: Schafft Demokratie das alles? Nach den „Schicksalswahlen“ werden wir es sehen. Hoffnung ist gar nicht so illusorisch, neben aller gesellschaftlicher Spaltung haben viele in diesem Sommer Verbindendes und Gemeinsames erlebt, wie z. B. die Fußball-EM und die Olympischen Spiele.
Das Publikum fragte, woher der Erfolg des offenkundigen Populismus der AfD rühre. Schönenborn stellte zunächst klar, Menschen seien in unterschiedlichem Maße empfänglich für diese Art der politischen Manipulation. Populismus gehöre zur Politik. Die AfD setze vor allem auf aktuelle Themen des politischen Geschehens, wie z. B. den Ukraine-Krieg und, ganz aktuell, die Gewalttat in Solingen. Es kam die Frage auf, wie Schönenborn als Journalist die politischen Entwicklungen empfinde. Seine Antwort fiel neutral aus – wie er die gesamte Veranstaltung mit einer wohltuenden Sachlichkeit absolvierte. Als Journalisten seien er und seine Kollegen eine „besondere Art von Menschen“: politisch gebildet, kulturell offen und weit gereist. Ein professioneller Journalist müsse Entwicklungen multiperspektivisch betrachten. Er selbst blicke optimistisch in die Zukunft − auch in Bezug auf die anstehenden Wahlen. Einen derartigen Optimismus konnte der Großteil der Anwesenden womöglich nicht teilen, zu groß ist die Sorge vor einem Rechtsruck.
„Demokratie wird immer in der Zeit definiert“. Ihre Existenz erfordert Meinungsverschiedenheiten, weshalb diese Landtagswahlen das Schicksal der deutschen Demokratie nicht besiegeln werden. Und tatsächlich: „Hope ist eine gute Haltung“, Herr Schönenborn.
Eric Heinrich & Luca Bammel
Fotos: D. Seichter